Kolibri IV Aufbauanleitung

Bis das Boot im Wasser liegt, bleibt einiges zu tun.

Alle Theorie ist grau, insbesondere beim Kolibri IV. Die offizielle Aufbauanleitung von MTW vermittelt den Eindruck eines einfachen Zusammensteckens, in der Praxis entwickelt sich dieser Vorgang dagegen für Neulinge nicht selten zu einem frustrierenden Erlebnis. Am Ende sitzt so mancher Interessent mit gebrochenem Spant in den Händen auf dem Boden und verflucht innerlich die Konstrukteure des Faltboots aus DDR-Zeiten.

Doch es geht auch entspannter. Die Zauberwörter heißen Wärme, Ruhe und bedarfsweise Schraubzwinge. Liest sich komisch, ist aber wirklich so. Nachfolgend dazu mehr in der von mir kommentierten Originalanleitung.

"Das Gerüst des Bootes ist vierteilig, alle Teile des Bootes werden durch Patentklinkverschlüsse miteinander verbunden. Es wird nichts geschraubt. Die 6 Querspanten sind von achtern beginnend numeriert, die Nummer des Spants muß immer mit der entsprechenden Nummer auf dem Trittboden übereinstimmen. Beim Aufbau des Bootes keine Gewalt anwenden!"

Ganz ohne Gewalt geht es leider nicht. Irgendwann muss das Faltbootgerüst unter Spannung gebracht werden und spätestens dann braucht es etwas Kraft die Bauteile zusammenzufügen. Der Krafteinsatz sollte aber stets kontrolliert und zielgerichtet erfolgen. Beim Kolibri kommen wir erst sehr spät in diese Situation, nämlich wenn die Waschbordleisten aufgeschoben werden. Wer zu diesem Zeitpunkt gestresst ist, sollte erst einen kurzen Spaziergang machen.

Zu Beginn liegt die Bootshaut platt auf dem Boden.
Einbau von Spant 2 im Heck, die Hülle erhält Konturen.
"Aufbauvorgang
1. Haut ausbreiten, möglichst auf Rasen oder untergelegten Decken."

Ich verwende eine 5×4 Meter-Abdeckplane aus dem Baumarkt für den Aufbau. Bei Regen oder über Nacht lässt sich das Boot auch prima darin einwickeln. Ebenfalls wichtig: Sofern keine sommerlichen Temperaturen herrschen, sollte man die Haut in der Sonne ausbreiten, denn warmes PVC lässt sich leichter dehnen als kaltes, so dass der Zusammenbau insgesamt leichter fällt.

"2. Trittboden, Bordleisten und Senten des vorderen Bootsgerippes auseinanderklappen, Senten zusammenklinken.
3. Spant 5 am Kiel einhaken, senkrecht stellen und den Deckstab einhängen, Spant 6 ebenfalls im Kiel einhaken und aufrichten. Bordleisten zusammenklinken und mit Spant 5 und 6 verbinden. Sentengurte an Bordleisten anknöpfen.
4. Der Aufbau des Hintergerüstes ist dem des Vordergerüstes gleich.
5. Die Gerüsthälften werden nacheinander in die Bootshaut eingeschoben und dabei der Trittboden in die vorhandenen Führungen gedrückt. - Besonders beim erstmaligen Aufbau ist darauf zu achten, daß die Nähte zwischen Verdeck und Bootshaut unbedingt an der Bordwandkante parallel verlaufen, da sich die Bootshaut sonst in eine nicht mehr zu korrigierende Form verzieht. Der Aufbau wird erleichtert, wenn die innere Bootshaut vorher mit Talkum bestreut wurde."

Das mache ich inzwischen ganz anders. Zunächst kommt erst das Hinter-, dann das Vorderteil dran. Damit liegen im Boot automatisch die beiden Bodenbretter in der richtigen Reihenfolge aufeinander. Der Zusammenbau der beiden Bootshälften verläuft identisch:

Stevenschirm auseinanderklappen, an diesem sind die beiden vorderen Bodenbretter, die vier äußeren Senten und die beiden äußeren Bordswände (=Balkweger) befestigt. Den aufgefächerten Stevenschirm soweit in die Haut einschieben, bis sich die Einbauposition von Spant 1 bzw. 6 unmittelbar vor dem vom Deckstoff überspannten Hautteil befindet. Hier nun den Spant einbauen und die Bordwand aufstecken.

Der Stevenschirm wird weiter eingeschoben bis Spantposition 2 bzw. 5 vor den überdeckten Bereich kommt. Dabei rechtzeitig die Verlängerungen von Bordwand und Senten einbauen, bevor die Scharniere unter dem Oberdeck verschwinden. Den Spant einbauen und den Stevenschirm langsam weiterschieben. Dabei sind mehrmals folgende Punkte zu prüfen:

  • Wird das Gestell gerade eingeschoben? Dazu stellt man sich am Besten rittlings (sagt man so?) über der Bootsspitze auf und fühlt die Abstände des Gestells von den Seitennähten. Bei der Gelegenheit lässt sich gleich auch Punkt Zwei überprüfen:
  • Liegt die Verbindungsnaht von Ober- und Unterschiff auf dem Gerüst auf? Entweder mit den Finger von außen erfühlen oder per Sichtcheck von Innen kontrollieren. Verläuft die Naht mal ober- und mal unterhalb der oberen Bordwandkante, entstehen an diesen Stellen Zugkräfte, die zum Reißen der Naht führen können!
  • Sind Bordwand und Senten noch korrekt mit den Spanten verbunden? Gerade zu Beginn des Einschiebens rutschen diese gerne aus ihren Positionen. Die Verlängerungen der Senten sind deshalb unbedingt durch die grauen Sentenbänder zu führen, die an den Bordwänden fixiert werden. Nur so bleiben die Senten zuverlässig in Position!

Das Einschieben der beiden Stevenhälften erfolgt in Ruhe bei wiederholter Überprüfung der zuvor genannten Punkte. Ein fehlerhaft eingeschobenes Gerüst erschwert den weiteren Zusammenbau und kann u.U. die Hülle beschädigen.

Ohne viel Druck auszuüben lassen sich die beiden Gerüsthälften so weit einschieben, dass die beiden Bodenbretter noch etwa 10 bis 20 cm überlappen. Jetzt ist die letzte Gelegenheit, den Sitz des Gerüsts noch einmal ohne all zu viel Aufwand zu korrigieren. Deshalb unbedingt an beiden Bootsspitzen den korrekten Verlauf von Bordwand und Seitennaht überprüfen.

Beide Gerüsthälften wurden nach und nach zentriert eingeschoben.
Es fehlt nur noch das Waschbord: Ab jetzt braucht es etwas mehr Kraft.
"6. Durch Herabdrücken des Trittbodens schiebt sich das Gerüst straff in die Bootshaut (s. Abb. 1). Achten Sie bitte immer darauf, daß der hinten in der Haut befestigte Vorsatzsteven richtig zwischen die Beschläge des Stevens geführt wird."

Insbesondere bei kühlem Wetter ist das Herunterdrücken und damit Verbinden des Trittbodens nicht in einem Vorgang zu schaffen. Da der Trittboden relativ filigran beschaffen ist, sollte man nicht zu heftig vorgehen. Stattdessen kommt man weiter, wenn man die beiden Hälften durch wiederholtes Drücken und Nachgeben immer weiter nach unten bewegt.

"7. Bordleisten und Senten miteinander verbinden (s. Abb. 2)."

Es erstaunt mich immer wieder, wie weit sich die Bordleisten bei diesem Vorgang durchbiegen lassen…

"8. Spanten Nr. 3 und Nr. 4 einsetzen, am Trittboden einhaken und mit den Bordleisten verbinden.
9. Waschbordleisten verbinden und auf den Wulst am Verdeck von hinten nach vorn einschieben (s. Abb. 3) und auf einer Seite die Beschläge in die Löcher der Spanten einschieben."

Punkt 9 – endlich wird es interessant! Zunächst einmal schiebe ich die Waschbordleisten nicht verbunden auf die Deckwülste auf, da das Handling einer kompletten Waschbordleiste nicht ganz unproblematisch ist.

Erst werden nacheinander die vorderen Leisten aufgeschoben und dabei jeweils die beiden Metallstecker in die vorgesehenen Spantenlöcher eingeführt. Hierbei braucht es etwas mehr Krafteinsatz als zuvor. Dann wird die erste der beiden hinteren Waschbordleisten aufgeschoben. Beim Zusammenführen mit der vorderen Hälfte ist zu prüfen, dass die in der Nut laufende Deckwulst beim Übergang nicht verkantet. Sitzt die dritte Leiste und ist verriegelt, endet das Pflichtprogramm beim Aufbau. Nun kommt die Kür…

Gelingt das Aufschieben der vierten und letzten Waschbordleiste noch problemlos, kann die finale Verbindung des Metallsteckers mit dem dafür vorgesehenen Loch in Spant 3 zur Herkulesaufgabe ausarten. Bei sommerlichen Temperaturen und entsprechend dehnbarem PVC mag dies noch mit etwas rohem Gezerre klappen. Doch sinken die Temperaturen, kommt erst der wenig materialschonende Gummihammer zum Einsatz und schließlich reicht auch dieser nicht mehr aus. In einer solchen Situation ist Spant 3 in höchster Gefahr! Ich möchte nicht verheimlichen, dass ich bei meinem Koli nacheinander beide Hälften von Spant 3 austauschen musste…

Sonniger, aber kühler Herbsttag: Auch der Gummihammer konnte nicht helfen.
Provisorisch, aber wirkungsvoll: Mit der umgehend gebauten Zwinge klappte es.

Irgendwann bin ich dann auf die Idee gekommen, wie das Ganze etwas kontrollierter klappt, und zwar mit einer Schraubzwinge. Eine Backe setzt außen auf der Waschbordleiste auf, eine innen auf Spant 3. Und dann wird Drehung für Drehung mehr Druck aufgebaut, bis Waschbord-Stecker und Spant-3-Loch zueinander finden.

Um passend anzusetzen, wird allerdings eine Schraubzwinge mit unterschiedlich langen Backen benötigt. Da die Backen meiner Zwingen alle egal gebaut sind, habe ich mir ein schlichtes Modell aus Holzresten und zwei Schrauben hergestellt. Einmal angesetzt, ist die zuvor so problematische Verbindung innerhalb von 2 Minuten hergestellt.

"10. Rückenlehnen in die Löcher der Waschbordleiste einsetzen (die längere vorn) und nun auch die andere Seite mit den Spanten verbinden. Danach Waschbordleisten durch Wirbelbeschlag am Spant 2 sichern."

Apropos Rückenlehnen: Diese sind beim Kolibri gerade und dadurch nicht unbedingt bequem. Auf längeren Strecken machen sie sich vor allem an der Wirbelsäule zuweilen unangenehm bemerkbar. Ein Grund warum man so viele Kolibris mit gepolsteten Lehnen sieht.

"11. Der Waschbordabschluß wird aufgesteckt und mit dem Verdeck verbunden. Zuletzt werden die Sitze eingelegt und das Fußsteuer entsprechend der Größe des hinten Sitzenden befestigt."

Das Fußsteuer hinten mag für nicht all zu große Personen passen. Ich komme mir mit meinen 187 cm jedoch vor wie besagter Affe auf dem Schleifstein. Der Kolibri lässt sich aber auch prima ohne Steuer paddeln.

"12. Vor Einhängen der Deckstäbe (s. Pkt. 3/4) wird je ein Spitzenbeutel zwischen Vorsteven und Spant 6, Spant 5 und Spant 6 sowie zwischen Achtersteven und Spant 1 mit der Schlaufe am Deckstab befestigt.
Ist der Aufbau des Bootes abgeschlossen, werden die Spitzenbeutel aufgeblasen.
13. Steuereinrichtung: Das Steuerruder wird am Heckbeschlag des Bootes befestigt. Die Steuerleinen werden in die Führungen im Waschbordabschluß von oben eingedrückt und laufen dann frei nach innen.
Damit ist das Boot startfertig.
Sollte die Bootshaut nach längerem Gebrauch im Hochsommer schlaff geworden sein, so können Sie das Gerüst verlängern und erzielen damit wieder eine gute Spannung der Bootshaut. Hierzu ist das Bootsgerüst wieder aus der Bootshaut herauszunehmen. Danach sind die Bordleisten unter Verwendung des jeweils 2. Loches an den Steven zu versetzen. Der Trittboden wird ebenfalls verlängert, indem Sie die Schraube am Steven lösen und im zweiten Loch wieder einsetzen."

Das war bei meinem Kolibri bislang nicht nötig.

Nachtrag zur Zwinge

Nützliches Hilfsinstrument

Wegen verschiedener Anfragen abschließend noch Bild und Beschreibung der von mir verwendeten Zwinge. Ich habe die beiden Backen aus Restholz mit dem Querschnitt 3×2 cm hergestellt. Die Längen betragen etwa 10 und 13 cm. Verbunden waren die Backen zunächst durch zwei M6 V2 Schrauben von 11 cm Länge. Da ich diese eigentlich woanders verwende, wurden die Schrauben zwischenzeitlich durch M6 Gewindestangen in 12 cm Länge ersetzt.

Auf der einen Seite sitzen selbstsichernde Muttern, die ich bei Benutzung fingerfreundlich mit einem Schraubenschlüssel aus der Zubehörbox konter. Wer ganz ohne Werkzeug auskommen möchte, verwendet auf beiden Seiten Flügelschrauben. Die innere Flügelschraube dient zur Stabilisierung der eher nachgiebigen Zwinge unter Belastung. Sie wird zu Beginn auf die Breite des Waschbords eingestellt.